5G Faktencheck – Die wahren Stärken von 5G!

Zahlenrekorde sind nur die halbe Wahrheit

 23.11.2020     Provider

Viel wurde und wird geschrieben über 5G. Ist also alles gesagt zum 5G Mobilfunk? Bringt 5G wirklich bis zu 100-mal schnellere Datenraten, wie oft behauptet wird? Und wie sieht es mit dem Internet der Dinge sowie mit den immer wieder zitierten ultrakurzen Latenzzeiten aus? Ist das wirklich alles, was die neue Mobilfunktechnologie zu bieten hat oder gibt es noch weitere, weniger bekannte Neuerungen?

Diesen Aspekten wollen wir uns einmal von einer anderen Seite nähern und aus unserer Sicht die wahren Stärken von 5G hervorheben.

5G Symbolbild

Bild 1: Die 5G Evolution

 

Die Evolution der Mobilfunknetze

Ungefähr alle zehn Jahre gibt es einen neuen Mobilfunkstandard. Ging es zu Beginn des Mobilfunks nur um reine Sprachkommunikation, so wurden Datenanwendungen von Generation zu Generation immer wichtiger und schlussendlich wird heute auch über Internettechnologie telefoniert – auch im Mobilfunknetz. Für die fünfte Mobilfunkgeneration (5G) wurden daher Anforderungen für die Versorgung von mobilen Endgeräten mit einer stabilen, zuverlässigen Datenverbindung und hinreichenden, hohen Datenraten definiert, die deutlich über den Möglichkeiten der vierten Mobilfunkgeneration (4G) liegen. Klar, sonst wäre es keine Weiterentwicklung.

Die 5G Anforderungsprofile wurden von der ITU definiert und beschreiben quantitativ maximal zu erreichende Parameter für eine Technologie, die sich International Mobile Telecommunications IMT-2020 konform nennen darf. Das Anforderungsprofil für die vierte Generation (4G = LTE) war hingegen in IMT Advanced definiert.

4G-5G-Vergleich

Bild 2: Die Anforderungsprofile von 4G und 5G im Vergleich

 

Vergleicht man diese beiden Anforderungsprofile, so lassen sich die Unterschiede beider Technologien und die Fortschritte, die 5G bieten soll, sehr gut erkennen.

 

Schneller, höher, weiter – aber nicht alles auf einmal!

Bei den angegebenen Zahlenwerten handelt es sich jedoch immer um Maximalwerte, die die grundsätzliche Leistungsfähigkeit der Technologie widerspiegeln und nur durch die geschickte Ausnutzung aller technischen und physikalischen Möglichkeiten erreichbar sind. In der Praxis werden diese Werte also nur unter bestimmten Voraussetzungen und in ganz spezifischen Konfigurationen erreicht. Dabei setzt die Physik automatisch Grenzen, die sich nicht überwinden lassen. Einige Beispiele können diesen Zielkonflikt verdeutlichen:

Möchte man mit 5G eine möglichst große Fläche abdecken, also eine hohe Reichweite der Funksignale erzielen, so funktioniert dies nur mit relativ niedrigen Funkfrequenzen zum Beispiel im Bereich von 700 MHz oder 900 MHz. Damit steht aber auch im Vergleich zu den höheren Funkfrequenzen eine geringere HF-Bandbreite zur Verfügung, welche die maximale Bitrate der Datenübertragung limitiert. Es ist somit nicht möglich, mit einer Konfiguration des Systems sowohl die maximale Reichweite als auch die maximale Übertragungsrate zu erreichen.

Die gerne zitierte Peak Rate soll von 1 Gbit/s bei einer 4G-Funkzelle auf 20 Gbit/s bei 5G steigen. Das ist prinzipiell richtig, gilt aber nur unter Idealbedingungen im Labor, mit allen definierten Möglichkeiten, bei hohen Frequenzen und bei geringem Abstand zwischen Antenne und Endgerät. Gleiches gilt auch für die Latenzzeiten, die sich mit 5G deutlich verbessern lassen, aber ebenfalls nur unter bestimmten Randbedingungen.

 

5G Funkübertragung – klassische Verfahren auf Speed

Entgegen weitläufig verbreiteten Meinungen unterscheiden sich 4G und 5G auf der Radio-Schnittstelle im Grundsatz nur wenig. 5G ist in diesem Bereich nicht wirklich eine revolutionäre neue Technologie.

Zwar werden neue Steuerungsmöglichkeiten definiert und neue Frequenzbereiche erschlossen. So ist zum Beispiel der Frequency Range 2 (FR2) mit Frequenzen von 24 bis 52 GHz (Millimeter-Wellenbereich) neu. In diesem Frequenzbereich steht dann auch soviel HF-Bandbreite zur Verfügung, dass die hohen Peak Rates von bis zu 20 Gbit/s realisiert werden können – bei naturgemäß geringen Reichweiten der Millimeterwellen.

Die grundlegenden Modulationstechniken und Verfahren der Verteilung der Funkressourcen auf die Teilnehmer (Orthogonal Frequency Division Multiple Access – OFDMA) einer Funkzelle bleiben aber in 4G und 5G gleich.

So kann man im 700 MHz Frequenzbereich für die Flächenabdeckung eine 5G Zelle mit ähnlicher Parametrisierung betreiben wie bei 4G. Sogar ein gemeinsamer Betrieb im 700 MHz Bereich mit 4G und 5G ist durch Dynamic Spectrum Sharing (DSS) möglich. Ein Verdrängen der Vorgänger-Technologie ist aufgrund des gemeinsamen OFDMA-Prinzips nicht nötig. Im 700 MHz Bereich bietet 5G allerdings keine höheren Datenraten als 4G, ermöglicht aber kürzere Latenzzeiten.

 

Ultrakurze Latenzzeiten – Fakt oder Fiktion?

Für zukünftige Anwendungen mit Echtzeit-Charakter sind die sehr kurzen Latenzzeiten, die erst mit 5G möglich sind, von entscheidender Bedeutung. Eine Verbesserung um den Faktor 10 wird gegenüber 4G versprochen, mit Latenzzeiten sogar unterhalb von einer Millisekunde. Hier lohnt sich ein genauerer Blick, wo und wie diese Latenz gemessen wird.

Die 5G Funkschnittstelle New Radio erlaubt gegenüber 4G kürzere Transmissionszeitintervalle, was prinzipiell geringere Latenzen ermöglicht. Die Latenz von 1 ms, über die oft gesprochen wird, bezieht sich jedoch nur auf die Funkschnittstelle!

5G System Laufzeiten

5G UE 5G User Equipment
NG RAN Next Generation Radio Access Network
5GC 5G Core Network
gNB Node B (Basisstationen im 5G Netz)

 

Bild 3: Latenzen im 5G System

 

Entscheidend ist aber in der Praxis die Round Trip Time (RTT). Das ist die gesamte Zeit, die vergeht, bis die Antwort einer Applikation wieder beim Endgerät eintrifft, wenn es vorher zum Beispiel einen Alarm oder Daten gesendet hat.

Die Round Trip Time (RTT) beinhaltet die Latenz auf der Funkschnittstelle, aber auch die Zeit für die Übertragung bis zur Netzwerkgrenze, das ist in 5G die User Plane Function (UPF) und darüber hinaus (z. B. via Internet) bis zum Application Server (AS). Dazu kommt die Verarbeitungszeit im Applikation Server (AS) selbst sowie die Laufzeit für den gesamten Rückweg.

Das bedeutet: Möchte man die gesamte Round Trip Time für eine kritische Anwendung auf sehr niedrige Werte minimieren, muss die dazu erforderliche Datenverarbeitung im Application Server relativ nahe an der Funkschnittstelle geschehen. Dieses Konzept wird als Mobile Edge Computing (MEC) bezeichnet.

5G MEC Laufzeit

Bild 4: Latenz mit Mobile Edge Computing

 

Die ultrakurzen Reaktionszeiten und sehr hohen Datenraten sind vor allem für industrielle Anwendungen interessant. Speziell hierfür steht die Frequency Range 2 (24 - 52 GHz) bereit und auch nur hier lassen sich die Extremwerte erreichen. Dafür ist die Reichweite sehr gering (typischerweise weniger als 150 m), was bei der Steuerung einer überschaubaren Produktionsanlage aber nicht im Vordergrund steht.

Viele andere Anwendungen des Internets der Dinge (IoT) benötigen hingegen keine ultrakurzen Latenzzeiten und auch keine hohen Datenraten. Die Steuerung der Heizung oder der Rollläden im Eigenheim, das Auslesen von Strom-, Wasser- oder Gaszählern oder das Erfassen von Umweltdaten durch Sensoren sind sowohl in Sachen Datenrate also auch Latenzzeit eher genügsam. Und von solchen Anwendungen und Sensoren gibt es sehr viele. Man bezeichnet diesen Teil des IoT daher auch als Massive IoT.

 

Die User Experience – wie war das mit dem Funkloch?

Was in der allgemeinen Diskussion um 5G häufig untergeht, sind neue Funktionen, die nicht mit reißerischen Rekordzahlen umschrieben werden können, aber in der praktischen Nutzung enorme Fortschritte versprechen. Als Beispiel sei CoMP (Coordinated Multipoint) Transmission genannt.

Ein Problem war bei klassischem LTE (4G), hinreichende Datenraten an den Rändern der Funkzellen zu erzielen. Dort kommt es zu massiven Interferenzen mit benachbarten Funkzellen (Inter-Zell Interferenzen), da in LTE alle benachbarten Funkzellen die gleiche Frequenz nutzen. Die Nachbarzelle tritt gewissermaßen als "Störsender" auf und führt zu schlechtem Funkempfang.

CoMP ermöglicht es, das Endgerät von verschiedenen, benachbarten Funkzellen gemeinsam zu versorgen. Dies führt zu einer viel robusteren und stabileren Versorgung der Endgeräte und damit zu einer besseren User Experience. Das ist eine herausragende Stärke der 5G New Radio Funkschnittstelle: Eine stabile Anbindung von sehr vielen Endgeräten mit einer Datenrate von bis zu einigen 10 Mbit/s für einzelne Endgeräte.

Das heißt: Sinnvoll hohe Datenraten für alle, überall, jederzeit.

 

Virtualisierung jetzt auch im Mobilfunk

Hinzu kommen extrem wichtige Features, die primär mit dem 5G Kernnetz (5G Core) des Betreibers verbunden sind, aber auch von den 5G Basisstationen unterstützt werden müssen.

So erlaubt Network Slicing die Bereitstellung virtueller Mobilfunknetze. Network Slicing ermöglicht den gleichzeitigen Betrieb von virtuellen Mobilfunknetzen mit sehr unterschiedlichen Service-Charakteristiken für verschiedene Kunden auf der gleichen physikalischen Infrastruktur eines Netzbetreibers.

Hier zeigt sich die eigentliche Stärke von 5G. Durch die Virtualisierung lassen sich durchgängig Dienste realisieren, die vollkommen unterschiedliche Anforderungen an Verfügbarkeit, Reichweite, Datendurchsatz oder Latenz haben. Somit lassen sich auf der gleichen Infrastruktur Dienste für den Privatanwender, aber auch für andere Gruppen wie Firmen (Kleinbetriebe und Mittelständler), Behörden und Universitäten oder Forschungsinstitute bereitstellen.

Neben den Eigenschaften der Funkschnittstelle werden auch die verschiedenen Netzwerkfunktionen des 5G Core, auf die wir hier nicht näher eingehen wollen, an räumlich verschiedenen Orten umgesetzt, individuell konfiguriert und bereitgestellt. Beispielsweise können so Dienste für hohe Datenraten (enhanced Mobile Broadband eMBB) parallel zu Diensten für Massive IoT (MIoT) mit geringen Bandbreiten und unkritischer Latenz sowie Anwendungen, die sehr kurze Latenzzeiten und hohe Zuverlässigkeit benötigen, sogenannte Ultra Reliable Low Latency Communication (URLLC), gleichzeitig realisiert werden.

Der Netzbetreiber kann also mittels Network Slicing eine kostengünstige und räumlich flexible Alternative zu privaten Netzwerken für Firmen, Behörden etc. bieten. Diese Network Slices können auf ein Firmengelände begrenzt sein oder auch die Stadt, den Landkreis, das Bundesland oder gar das ganze Land mit umfassen. Network Slicing ist ein zentraler Aspekt von 5G – etwas, was mit LTE definitiv nicht zur Verfügung steht!

Network Slicing

 

UPF User Plane Function
SMF Session Management Function
AMF Access & Mobility Management Function
UDM Unified Data Management

 

Bild 5: Network Slicing

 

Ein Fazit – was bringt uns 5G?

Man sieht also, dass die viel beschworenen Aspekte Latenz und Datenrate als reine Zahlenwerte für 5G zwar interessant, aber wenig aussagekräftig sind und reine Zahlenvergleiche alleine wenig bringen. Generell ist 5G ein nächster Evolutionsschritt des Mobilfunks, der die technischen Möglichkeiten höherer Rechenleistung und empfindlicherer Messmethoden der heutigen Zeit nutzt, um das Machbare weiter an die physikalischen Grenzen heranzubringen.

Je nach Anwendungsfall und Parametrisierung der Funkschnittstelle kann 5G sehr flexibel und skalierbar eingesetzt werden. Zusammen mit dem Virtualisierungskonzept Network Slicing ist dies die wahre Stärke der Technologie: Es geht um Flexibilität für vielfältige digitale Anwendungen und nicht nur um die höchste Download-Datenrate!

Über 6G wird übrigens heute schon diskutiert. Die kontinuierliche Evolution des Mobilfunks geht weiter. Schritt für Schritt wird auch 5G weiterentwickelt werden und wir sind gespannt, wohin die Reise gehen wird.

 

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